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Populärwissenschaft – one size fits all?

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Wer populärwissenschaftlich schreibt, steht immer vor einem Problem: Wer genau ist die Zielgruppe? Wie viel Vorwissen darf ich voraussetzen, wie komplex dürfen Argumente sein, wie viel Abstraktionsvermögen und wie viel Bereitschaft, sich anzustrengen, bringen meine Leserinnen mit?

Auslöser für diese Überlegung war dieser Tweet von Florian:

Ich kenne das Buch, um das es geht nicht, und ich würde diesen Satz auch so nicht schreiben, bin mir aber trotzdem nicht sicher, ob ich ihn als den schlimmsten Satz bezeichnen würde, den man in einem populärwissenschaftlichen Buch schreiben kann. Darf es in einem populärwissenschaftlichen Buch Stellen geben, die einige oder sogar viele Leserinnen nicht ohne weiteres verstehen können?

Ich erzähle mal von ein paar Beispielen aus meiner persönlichen Leseerfahrung:

Eins der bekanntesten populärwissenschaftlichen Bücher ist sicher Hawkings “Kurze Geschichte der Zeit”. Habt ihr es gelesen? Wenn ja, erinnert euch mal an die Lektüre. Hand aufs Herz: Habt ihr da wirklich alles verstanden? Wie funktionierte das beispielsweise mit der imaginären Zeit, die dafür sorgt, dass es “eigentlich” irgendwie keinen Urknall gab, weil die Raumzeit da ausgerundet wurde wie der Südpol einer Kugel? (So war die Erklärung, wenn ich mich recht entsinne, ist schon über 20 Jahre her…). Ich habe das Buch irgendwann während des Studiums (ich weiß nicht mehr ob kurz vor oder kurz nach meinem Diplom) gelesen und habe viele Dinge schlicht nicht verstanden, auch nach mehrfachem Lesen. Entweder bin ich also besonders doof oder einige Teile des Buches sind extrem schwer zu verstehen. Andere, die ich gefragt hatte und die das Buch gelobt haben, sagten, dass sie bei einigen Teilen des Buches auch nicht mitgekommen sind.

Wir können daraus also zumindest schließen, dass Bücher auch dann populär werden und hochgelobt werden können, wenn die Durchschnittsleserin nicht alles versteht.

Als Teenager habe ich mehrfach im Jahr (in den Ferien, wo das Buch im Regal stand) immer das Buch “Im Zaubergarten der Mathematik” gelesen, zum ersten mal vermutlich, als ich so 12 oder 13 war. Das Buch gibt einen (aus heutiger Sicht in vieler Hinsicht etwas verstaubten, und ja, auch stellenweise rassistischen und sexistischen) Überblick über die Mathematik, von den Grundbegriffen der ganzen Zahlen über Unendlichkeiten bis hin zur Infinitesimalrechnung. Ich habe es wie gesagt sehr sehr oft gelesen. Jedes Mal gab es eine Stelle, an der ich ausgestiegen bin – allerdings jedes mal etwas später im Buch. Immer wenn ich das Buch in die Hand nahm, kam ich ein Stück weiter im Verständnis. Ich fand es damals weder überraschend, noch besonders schlimm, dass ich nicht alles verstehen konnte – ich habe es mehr als ein Buch gesehen, das ich genau deshalb immer wieder lesen kann und sozusagen als etwas, an dem ich wachsen kann (auch wenn ich das damals nicht so ausgedrückt hätte).

Ganz ähnlich ging es mir mit meinem absoluten Wissenschafts-Lieblingsbuch “Gödel, Escher, Bach”. (Kennt ihr nicht? Hört sofort auf, hier zu lesen, und bestellt es jetzt. Erledigt? Gut, ihr könnt euch später bedanken.) Da geht es um Logik, das menschliche Denken, Bewusstsein, die Gödelschen Sätze, Zen-Buddhismus, die Musik von Bach und die Bilder von Escher, den genetischen Code, künstliche Intelligenz und noch 1000 andere Dinge. Zwischendrin, bei der Erklärung formaler mathematischer Systeme und des Gödelschen Satzes, wird das Ganze sehr abstrakt. Auch dieses Buch habe ich mehrfach gelesen, und auch hier ging es mir ähnlich: Bei jedem Lesen kam ich etwas weiter im Verständnis, irgendwann verstand ich besser, wie das “arithmoquinieren” funktioniert und irgendwann hatte ich dann endlich den Beweis des Gödelschen Satzes (hoffentlich) wirklich verstanden. (Das Prinzip dahinter war beim ersten Lesen schon halbwegs klar, aber die Feinheiten der mathematischen Formulierungen nicht.)

“Gödel, Escher, Bach” ist generell kein leichtes Buch. Es wimmelt beispielsweise von Formeln (was ja angeblich bei populärwissenschaftlichen Büchern ganz schlimm ist) und ist wie gesagt an vielen Stellen hoch abstrakt. Es gibt aber zwischendrin immer wieder einfachere Passagen, die alles noch einmal auf etwas niedrigerem Niveau zusammenfassen, so dass ich zwar immer mal das Gefühl hatte, einzelne Teile nicht zu verstehen, trotzdem aber nie den Faden verloren habe. Und wie beim “Zaubergarten” habe ich das Buch als Herausforderung verstanden, bei jedem Lesen etwas weiterzukommen.

Übrigens geht es mir beim Lesen von wissenschaftlichen Arbeiten oder Lehrbüchern oft ähnlich – da überfliege ich oft die Formeln erstmal nur, vollziehe die Details nicht nach und störe mich auch nicht dran, nicht gleich alles zu verstehen, solange ich erstmal einen groben Eindruck bekomme. Dafür gibt es dann einen zweiten oder dritten Durchgang. Wiederholung gehört zum Lernen nun mal dazu.

Hier auf dem Blog habe ich deshalb ja auch keine Skrupel, manchmal sehr tief in die Abstraktionskiste zu greifen – neulich habe ich ja z.B. Penrose-Diagramme erklärt, die nun wirklich ziemlich abstrakt und extrem speziell sind. Glaube ich, dass jemand, der damit zum ersten Mal in Berührung kommt, die drei Artikel hintereinander runterlesen kann und schon ist alles klar? Eher nicht. Mag sein, dass es Leute gibt, die das hinbekommen (und ich gebe mir Mühe, so zu schreiben, dass es prinzipiell möglich ist), aber bei so abstrakten Themen ist es in meinen Augen völlig normal, dass man Dinge mehrfach lesen und drüber nachdenken muss.

Bei meinem Buch war es nicht anders – da habe ich deshalb versucht, aus der Not eine Tugend zu machen: Die Dialoge sind bewusst einfacher gehalten als die Erklärtexte dahinter, dafür aber auch nicht ganz so präzise. Und auch in den Erklärtexten gibt es einige Abschnitte, die sehr anspruchsvoll sind (zum Beispiel zum Energie-Impuls-Tensor) und andere, die man leichter versteht. Aus meiner eigenen Leseerfahrung heraus finde ich das vollkommen in Ordnung. Mal ganz ehrlich: Einstein hat etwa 8 Jahre gebraucht, um aus der speziellen RT die allgemeine zu entwickeln. Kann man da erwarten, dass sich das Ergebnis für Laien auf ein paar 1000 Seiten erklären lässt, ohne dass es an einigen Stellen auch schwierig wird?

Wie anspruchsvoll Bücher sein dürfen oder müssen, hängt natürlich vom Thema ab – ein Buch zum Beispiel über Dinosaurier ist sicher weniger abstrakt als zum Beispiel eins über die Relativitätstheorie (dafür muss man mit mehr Einzelfakten hantieren, wie so oft in der Biologie). Hinzu kommt die Frage, wie genau man die Erklärungen im Buch halten will – man kann auch die Relativitätstheorie sehr einfach erklären (auf twitter gab’s neulich den Link zu “RT für Babys” – das ist natürlich Quatsch), aber dann sind die Erklärungen auch weiter weg von dem, was in der RT wirklich passiert. Auch das habe ich hier auf meinem Blog ja schon des öfteren gemerkt: Dieser Text zur Quantenmechanik ist zum Beispiel viel einfacher als dieser hier, aber dafür ist der zweite auch sehr dicht dran an dem, was man in der Physik tatsächlich tut. Und je einfacher man die Erklärungen hält, desto problematischer werden sie dann auch (wie ich ja gerade hier erklärt habe).

Müssen populärwissenschaftliche Bücher so geschrieben sein, dass man alles beim ersten mal Lesen versteht? Oder das wirklich alle Leserinnen alle Teile verstehen? Ich glaube nicht, dass das wirklich notwendig ist. Die Bücher müssen natürlich alle Informationen bereitstellen, die Erklärungen müssen so gut und so einfach sein, wie es eben geht (und das ist sicher ein Grund, warum ich einen Satz wie den von Florian zitierten so nicht schreiben würde), aber es ist in meinen Augen vollkommen in Ordnung, wenn es Stellen gibt, die nicht von allen gleich verstanden werden können und die man mehrfach angucken muss. Das gehört meiner Ansicht nach zum Lernen einfach dazu – und populärwissenschaftliche Bücher haben ja nun mal das Ziel, Dinge beizubringen und dienen nicht bloß der Unterhaltung.

In meinen Augen gibt es deshalb keine klare und absolute Regel dafür, wie schwierig Erklärungen in populärwissenschaftlichen Büchern sein dürfen und es ist kein Problem, wenn ein Buch so konzipiert ist, dass man einzelne Abschnitte beim ersten Lesen nicht oder nur mit extrem viel Aufwand verstehen kann, solange nicht der gesamte rote Faden verloren geht.

Aber vielleicht seht ihr das ja ganz anders? Zeichnet sich ein gutes populärwissenschaftliches Buch dadurch aus, dass man sofort alles versteht? Und ist jeder Abschnitt, den man zweimal lesen muss, problematisch oder ein Zeichen dafür, dass die Erklärung nicht gut genug ist? Schreibt gern was dazu in den Kommentaren, ich bin gespannt.

PS: Da ich keine Lust mehr auf die immer gleichen, immer gleich dämlichen Kommentare zum Thema “generisches Femininum” habe, werde ich alle diesbezüglichen Kommentare hier löschen. Kommentiert beim Artikel zum Thema, rechnet aber nicht damit, dass ich auf die 1000te Wiederholung der immer gleichen falschen Argumente irgendwie eingehe.

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